Mittwoch, 18. Mai 2016

Bikefitting - Tut es!

Bikefitting? Für Hobbyradler? Ist das nicht übertrieben?

Ich hoffe die Frage erübrigt sich, nach dem Ihr meinen Bericht gelesen habt.

Bereits beim Kauf des Renners habe ich mir die Frage gestellt, ob denn da alles so passt, wie es vom Verkäufer eingestellt wurde. Klar, man vertraut dem kompetenten Typen im Radgeschäft seines Vertrauens, der alles nach bestem Wissen und Gewissen einstellt. Andererseits kann sich keiner im Einzelhandel über 1 1/2 Stunden Zeit nehmen, wenn andere Kunden auch noch bedient werden wollen.

So wird die Schrittlänge vermessen, der Sattel eingestellt, die Schuhplatten montiert, wenns hoch kommt noch der Vorbau getauscht, ein paar Runden ums Geschäft gedreht und der Krempel eingepackt, weil man eh nur mehr rauf will auf den neuen Bock! 

So oder so ähnlich wird es wohl schon einigen ergangen sein.

Nach ca. 1000 Kilometern auf dem Renner und einigen eigenen Versuchen, das Rad einzustellen habe ich mich dann doch zu einer professionellen Anpassung des Rades hinreissen lassen.
Ich hatte keine gröberen Probleme, weder Knieschmerzen noch taube Zehen, jedoch in "sportlicherer" Sitzposition immer wieder das Gefühl, mich zu sehr strecken zu müssen. Ich habe das ganze einfach umgangen, indem ich fast nur am Oberlenker gefahren bin und den Unterlenker komplett vermieden habe.

Also eine Fitter in der Nähe gesucht und auch fündig geworden. Rupert Probst ProPhysio - Physiotherpeut und zufälligerweise auch noch Bruder von Stefan Probst, seines Zeichens Chef von Airstreeem, also "Heimvorteil" auf ganzer Linie.

Termin ausgemacht und nach gut 2 Monaten war es dann so weit. 

Gebucht wurde von mir das Paket "Sitzpositionsanalyse - Pro I" und Paket "Pro Fuß".

Mitzubringen waren das Rad, die Schuhe, eventuell neue Schuhplatten, Radbekleidung und eine gute Portion Zeit! Das ganze hat bei mir über 1 1/2 Stunden gedauert.

Umso erfreulicher das das ganze Prozedere mit einem netten Plausch und einem Kaffee beginnt.

Als erstes wird der Bewegungsapparat gecheckt - Beweglichkeit der Wirbelsäule, wie sieht es mit den Knien aus, dreht das Becken nach aussen, wie ist es um das Fußgewölbe bestellt? Durch den Physio-Background achtet Rupert auch auf die Details.

Wie man gut erkennen kann, dreht mein rechter Fuß nach aussen, was mit dem Becken zusammenhängt. Kein Problem, solange es keine Beschwerden gibt. Die schmutzigen Socken NICHT beachten! ICH SAGTE NICHT BEACHTEN!!


Die ersten Einstellungen werden an den Schuhen gemacht, um quasi die Verbindungsstelle zwischen Fahrer und Rad optimal einzustellen. Wie sich bei mir herausgestellt hat, drehen meine Beine etwas nach aussen und zwar um ca. 15°, zugleich wird am angezogenen Schuh der ideale Punkt über der Pedalachse eruiert, um den bestmöglichen Druck auf die Pedale zu bringen.

Wenn die Schuhplatten dort sind, wo sie sein sollen, geht es erst mal zum Rad selbst. Dies wird auf ohne Laufräder auf einen Ergometer montiert. Rupert nimmt erst mal den "Ist"-Zustand auf und überträgt alle Daten in den PC. Danach wird mal aufs Bike gestiegen locker gekurbelt. Im Zuge dessen fragt er allerhand nach, worauf man selbst ein Augenmerk legt beim Biken, wie man meistens draufsitzt, wo fährt man hauptsächlich usw. usw. Während man also gemütlich dahintretet, beobachtet Rupi den ganzen Ablauf von allen Seiten. Sein geschultes Auge erkennt gleich, ob der Sattel etwas zu hoch oder zu niedrig ist.

Vorher - Bein fast durchgestreckt -> Sattel zu hoch, Hände am Oberlenker -> Bremsgriffe sehr weit vorne
Also erst mal runter und Sattel eingestellt. Ein paar Millimeter runter und ein paar nach vorne, so weit, so gut. Dann geht es ans "Knie-Lot", vermessen wird auch hier mittels Linienlaser, Winkellehre uswvermessen und es geht ans "Knie-Lot". Schon nach kurzer Zeit auch hier eine Veränderung und wieder in Richtung Lenker. Demnach bin ich bis dato einfach zu weit hinten gesessen und konnte den Druck gar nicht so richtig aufs Pedal bringen.

Schon jetzt habe ich das Gefühl, besser und komfortabler auf dem Rad zu sitzen. Eins meiner kleinen Problemchen war bis dato immer, dass ich auf dem Sattel nach vorne gerutscht bin, was mir auf Dauer etwas Druck auf die Weichteile aufgebaut hat. Nicht extrem, aber immerhin soviel, um regelmäßig das Bedürfnis zu haben, mit dem Hintern auf dem Sattel zurück zu rutschen. Eine Kleinigkeit, aber nervig.

Wieder heißt es Treten und den Fortschritt erfahren bzw. zu erfühlen. Je besser man Rupi Feedback geben kann, um so besser wird das Ergebnis.

Weiter geht’s mit dem Lenker. Die Sattelüberhöhung von 7cm hat bei mir gepasst und entspricht der Beweglichkeit meiner Lendenwirbelsäule. Bei den Pros dürfen es übrigens auch mal 10cm und mehr sein.

Mit einem speziellen verstellbaren Vorbau geht es nun daran, die optimale Länge heraus zu finden. Da ich wie oben schon beschrieben das Gefühl hatte, zu gestreckt auf dem Rad zu sitzen, hat sich Rupert gleich dazu entschlossen, 2 Zentimeter weniger einzustellen und mich Probe sitzen zu lassen.

Der Profi hat das Auge und sofort fühlte ich mich pudelwohl auf dem Rad. Nach mehreren Minuten und Nachmessen mittels Winkellehre hatte Rupert noch die Idee, die Schalthebel ein Stück nach hinten zu versetzen, um mit den Händen noch „satter“ abstützen zu können. Absolut feines Gefühl, der Rücken und der Nacken sind entlastet, der Druck geht mehr über die Arme und Schultern und durch den Optimierung des Lenkerstandes ist auch der Unterlenker nun wesentlich bequemer zu greifen und ich rutsche nicht so leicht ab.

Gleichzeitig gingen die Schalthebel im Winkel etwas nach Innen. Der Hintergrund ist eigentlich sehr logisch: legt die Unterarme locker auf den Tisch, sofort kippen die Hände nach innen. So ist die Haltung wesentlich natürlicher, wenn die Schalthebel nicht senkrecht montiert sind.
Der Riesen-Vorteil wenn man in der Airstreeem-Zentrale ein Bikefitting machen lässt, das die passenden Teile gleich zur Verfügung stehen und ich sofort mit einem um 2 Zentimeter kürzeren Vorbau nach Hause gefahren bin!

Nachher - Kniewinkel stimmt, Haltung wesentlich lockerer, Winkel in Ellbogen passt

Die nackten Zahlen:


Nach einigem Feintuning in etlichen Richtungen, baut Rupert das Rad fertig zusammen und den ersten Kilometern auf dem „gefitteten“ Bike steht nichts mehr im Weg!

Schon auf den 11 Kilometern heim ist der Unterschied mehr als spür- und erfahrbar. Mehr Druck auf die Pedale, wesentlich mehr Kraft aus den Oberschenkel, Sitzpositionen allesamt angenehm, egal ob aufrecht am Oberlenker, sportlich an den Schalthebeln oder aggressiv am Unterlenker.

Fazit: Wer noch kein Bikefitting hat machen lassen, sollte sich bei der nächsten Anschaffung von „unbedingt notwendigen“ Technikspielereien oder einer neuen Garnitur Radbekleidung überlegen, ob er 100% zufrieden mit der Sitzposition ist oder ob der vom Radversender erstandene Renner nicht noch optimierbar wäre, was die Haltung betrifft. Schließlich verbringen wir mehrere hundert Stunden im Jahr auf dem Rad! Für mich absolutes Muss und wird in Zukunft bei jeder Neuanschaffung eines Rades in den Kaufpreis miteingerechnet!







Macht es, es lohnt sich!



Wie es mir bei dem ersten Härtetest gegangen ist, erfahrt ihr im Bericht zum Gran Fondo Vienna!
Demnächst hier!




4 Kommentare:

  1. Ich habe es nicht nur für meinen "Renner" gemacht, sondern auch am MTB und es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Ich hätte es niemals so erwartet.

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    1. Kann ich mir auch auf dem MTB gut vorstellen. Hab da sowieso eher Probleme als am Renner. Speziell im Rückenbereich!

      Danke für dein Feedback

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  2. Ich habe alle Bikes bei "Bergetappe" in Essen fitten lassen, die Herzdame bei Biomized in Münster. Und mit Touren die auch 5 oder 7 und mehr Stunden haben, kann ich das hier nur unterschreiben: Auch Hobbyradler sollten sich vom Profi fitten lassen. Das Geld ist bestens angelegt!

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    1. Dann hast du ja die selben guten Erfahrungen gemacht wie ich. Auf alle Fälle in den Kaufpreis des Rades mit einrechnen. Die Investition lohnt sich.

      Danke für deinen Kommentar

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